post Kategorie: Spirit of the Game post Kommentare (0) post20. März 2014

USA Ultimate-LogoDa hat der US-Verband USA Ultimate mal eine klare Ansage gemacht: Als größter Nationenverband im Flugscheiben-Weltverband WFDF (World Flying Disc Federation) mit mehr als 47.000 Mitgliedern hat er der Praxis der sogenanten professionellen Ligen, Schiedsrichter in den Sport einzuführen, eine deutliche Absage erteilt (hier auch die Gründe dafür).

USAU findet demnach einige Aspekte der semiprofessionellen Ligen American Ultimate Disc League (AUDL) und Major League Ultimate (MLU) interessant. Doch sie befänden sich „in einem Konflikt mit vielen der Dinge, die wir an unserem Sport wertschätzen“, heißt es in der Presseerklärung, und auch im Konflikt mit einigen der USAU-Programme. Daher beabsichtigt USAU derzeit weder AUDL oder MLU zu unterstützen, noch mit ihnen eine Partnerschaft einzugehen oder die Ligen anderweitig zu befürworten oder anzuerkennen.

Was ist der Hintergrund dieser Entscheidung? Nach einer Schätzung des Verbandes der Sporttextilhersteller spielen alleine in Nordamerika derzeit rund 5 Millionen Menschen regelmäßig Ultimate. Bei dieser Menge an Spielern besteht eine kritische Masse, die verschiedene parallele Entwicklungen befördern kann. Daran ist nichts Schlimmes. Mit den sogenannten Profiligen soll sich eine stärkere Wahrnehmung und eine bessere Vermarktung des Sportes ergeben. Auch einige der Topspieler der US-Clubteams entscheiden sich dafür, in den von Sponsoren gehypten Clubs der semiprofessionellen Ligen anzuheuern.

AUDL-LogoVermischung der Ultimate-Ligen

Auch in einigen der Fachportalen wie Skyd Magazine und vor allem Ultiworld, aber auch in Deutschland, z.B. bei Ultiszene, werden die sogenannten Profiligen in einem Atemzug mit den College, Club und National Championships genannt. Bestes Beispiel ist eine toll gemachte Videoserie auf Skyd-Magazine namens „The Herd“ von Matt Mastrantuono , die Toronto Goat beim Club Finale von USAU begleitet und in jeder Episode mittendrin scheinbar unzusammenhängend Werbung für die AUDL macht.

Der jüngste Coup der Liga AUDL ist, dass angeblich drei ihrer Spiele live bem größten TV-Netzwerk der Welt, ESPN, live gezeigt würden. Dazu ist zu sagen, dass genau seit einem Jahr USA Ultimate einen umfassenden Deal mit ESPN hat, wonach die Finalturniere der College Championships, der Club Championships und der US Open auf ESPN gezeigt werden. Was also hat es mit der Entwicklung zu selbst ernannten Profiligen auf sich, die auf der Suche nach einer besseren Vermarktung des Sportes meinen, sich anderen Sportarten anpassen zu müssen und dabei willentlich auf einen entscheidenden Teils des Sports Ultimate verzichten?

Handshake Verschiedene Auffassungen des Sports

Der erste Paragraf der Ultimate-Regeln nach WFDF, benannt „Spirit of the Game“, beschreibt, wie das Spielgeschehen bei strittigen Situationen fortgesetzt werden soll. Dazu wurde schon viel geschrieben und es gibt fraglos Potenziale der weiteren Verbesserung. Auch die Regeln von WFDF und USAU stimmen nicht 100-prozentig überein (USAU setzt so genannte Observer als Offizielle ein, was WFDF nicht tut), doch beide Verbände stehen in engen Verhandlungen, um eine Angleichung voranzutreiben. Folgende Punkte halten Befürworter von Schiedsrichtern entgegen:

a – Sogar auf internationalen Meisterschaften halten viele Spieler die Frist von einer Minute oft nicht ein, wenn es darum geht, eine strittige Situation gemäß vorgegebenem Handlungsablauf aufzulösen.

b – Schiedsrichter machen den Sport zuschauerfreundlicher, verständlicher und verlässlicher.

c – Die Spieler können sich ganz auf das physische Spielen beschränken, müssen keine fragwürdigen Entscheidungen treffen und somit auch nicht auf ihre moralische Integrität geprüft werden.

d – Und sie führen an, dass die seit mehr als 30 Jahren bestehende Praxis von USAU Observer einzusetzen, bereits ganz nahe an den Einsatz von Schiedsrichtern heranreicht.

e – Schließlich bringen einige das Scheinargument, dass nur ein von Schiedsrichtern geführter Sport das Zeug dazu hätte olympisch zu werden. Beim Curling, das olympisch ist, gibt es übrigens auch keine Schiedsrichter.

Eigenverantwortung als wesentlicher Bestandteil

Ganz offenbar besteht hier eine kulturelle Kluft hinsichtlich der Auffassung, wofür Ultimate steht. Wenn es nur ein athletischer Teamsport wie jeder andere ist, der zufällig mit Frisbeescheiben gespielt wird, warum sollte er keine Schiedsrichter haben? Meine Haltung dazu ist klar:  Weil es der einzige eigenverantwortliche Teamsport der Welt ist (vielleicht abgesehen vom Curling). Natürlich hat Ultimate eine starke athletische Komponente. Aber es lohnt sich, den Paragrafen 1 des Regelwerks näher anzusehen, um sich klarzumachen, dass es bei dem Sport um mehr geht, als nur um das Physische und das Gewinnen um jeden Preis.

Genau diese Haltung macht der Verband USA Ultimate in seinem Statement deutlich. Er schreibt, dass seine Arbeit auf drei Säulen beruht: der Charakterbildung, der Gemeinschaft (die auf diesem Charakter der Spielerschaft beruht) und dem Wettkampf. Dabei ist es für USAU wichtig festzuhalten, dass der Wettkampf alle möglichen Spielklassen umfasst: Von Middleschools über Highschools und Colleges bis hin zu Open-, Frauen-, Mixed- und Masters-Turnieren.

Vor allem in Hinblick auf die Jugendarbeit ist ganz schwer zu vermitteln, wieso Weltverband und nationale Dachverbände ohne Schiedsrichter auskommen (es ist keine Selbstverständlichkeit und auch nicht immer ganz leicht, so viel steht fest) – und warum semiprofessionelle Ligen angeblich doch nicht darauf verzichten können. Für mich greift das Argument auf jeden Fall zu kurz, das behauptet: „Sobald es um Geld geht, kann es nur noch mit Schiedsrichtern funktionieren.“ Diese Vertreter haben die Kultur und den Charakter des Sportes nicht ganz verstanden.

EYUC2013_Check_FRA-ITA-Junior-WomenTrennung zwischen Sportgeschehen und Rahmenbedingungen

Eine wichtige Unterscheidung scheint mir diejenige zwischen den Rahmenbedigungen des Sportes und der Verhandlung von Spielsituationen zu sein. Wenn der Skyd Magazine-Autor Lou Burruss schreibt, mit einer Strafe nach dem zweiten Überschreiten der vorgesehenen Zeit zwischen zwei Punkten würden die Offiziellen auch bei USA Ultimate bereits „schiedsrichten“, täuscht er sich meiner Meinung nach. Er macht USAU denVorwurf, dass sie sich zu sehr mit Managen und zu wenig mit in die Zukunft führenden Visionen beschäftigten, und dass der Verband zu wenig sichtbar sei.

Die Präsenz bei ESPN, der im Vorjahr veröffentlichte Strategieplan und auch der schon etwas ältere professionelle Marketing-Trailer (s.u.) sprechen eine andere Sprache. Jedenfalls hat sich USAU mit dieser Ansage klar positioniert. Abschließend zu den obigen Punkten:

a – Genau wegen der Spieler, die gewisse Rahmenbedingungen nicht einhalten, tagt derzeit eine Task Force des WFDF, die die Handhabe der Verbandsoffiziellen bei Meisterschaften hinsichtlich Zeitmanagement und Einhaltung der vereinbarten Regeln erhöhen soll.

b – Das Observer-System von WFDF mit dem Anzeigen von erzielten Punkten, sowie der Anwendung von Handzeichen halte ich für erprobt und für durchaus geeignet, den Sport einem breiten Publikum unterhaltsam zu vermitteln – ohne auf den wesentlichen Teil der Selbstbestimmung der Sportler während des Spielgeschehens zu verzichten. Daneben sehe ich die Verbände in der Pflicht, die Handzeichen als Teil der Sportkultur zur besserenVerständigung auf und neben dem Spielfeld einzuführen.

c – Dass sich Spieler auf die rein physische Ausübung des Sportes beschränken sollen, halte ich für das eigentliche kulturelle Missverständnis. Sport hat immer soziale Ziele, nicht erst seit Baron de Coubertin, dem Erfinder der olympischen Spiele der Neuzeit. Wir streben im Ultimate kein Gewinnen um jeden Preis an, kein Schauspielern und den Schiedsrichter Täuschen, sondern ein Uns-Selber-Treu-Bleiben.

Ehrlichkeit, Respekt und Freude sind gefragt. Das schließt ein, die bessere und die schlechtere gegnerische Leistung zu respektieren und mit beiden Fällen umgehen zu lernen. Und es schließt eine umfassende Regelkenntnis und ein ausgeprägtes Bewusstsein für das, was ich tue, ein. Dafür ist der WFDF inzwischen so weit, dass alle Teilnehmer von Ultimate-Weltmeisterschaften eine Regelakkreditierung abgelegt haben müssen, die es bereits auch auf deutsch gibt.

d – Der Unterschied zwischen Schiedsrichtern und Observern betrifft die genannte Unterscheidung zwischen dem Einhalten der Rahmenbedingungen und dem Verhandeln von Spielsituationen auf dem Feld. Ersteres obliegt auch beim Ultimate dem Veranstalter, zweiteres beim Ultimate den Spielern. Daher erscheint die Frage von WFDF berechtigt: „Is it Ultimate without the Spirit of the Game?“

e – Die Idee ein olympischer Sport zu werden würde sich für Ultimate anbieten. Geradezu prototypisch im Sinne des Fairplay sind die Rahmenbedingungen ohne Schiedsrichter miteinander auszukommen, wofür es auch weitere Beispiele gibt (vgl. meine Präsentation zum Fairplay im Sport). Die vorläufige Anerkennung des WFDF durch das IOC im Jahr 2013 war ein erster, wichtiger Schritt dazu. Fehlende Schiedsrichter sind kein Killerkriterium, aber es geht um einander entgegen stehende Interessen verschiedener Sportverbände, sprich um Sportpolitik.

In meinen Augen ist eine Präsenz bei den olympischen Sommerspielen nicht das höchste Ziel. Bei den World Games 2009 in Taiwan und 2013 in Kolumbien war Ultimate bereits Zuschauermagnet Nummer eins. Und das Ende der Fahnenstange ist beim Wachstum dieser Sportart noch lange nicht erreicht. Es liegt an den Spielern, an den Clubs und an den Verbänden, wie sie den Sport auffassen, wie sie ihn vorleben und lehren. Um auf den Ausgangspunkt zurückzukommen: Es ist eine Frage der Kultur und des Charakters.

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