post Kategorie: Spirit of the Game post Kommentar (1) post12. April 2012

In einer emotionalen Begegnung kurz vor Saisonende der 2. Fußball-Bundesliga war Union Berlin im Rahmen einer englischen Woche zu Gast bei St. Pauli. Der verdiente und zuvor lange verletzte Marius Ebbers hatte in der 80. Minute die Gelegenheit per Kopf den wichtigen Führungstreffer zum 2:1 zu erzielen. Allerdings benutzte er die Hand. Zuletzt siegte Union Berlin mit 2:1 und sicherte sich den Klassenerhalt, während St. Pauli den Aufstieg vermutlich nicht mehr erreichen wird. Dass Ebbers das Handspiel zugegeben hat, wird nun als etwas Besonderes herausgekehrt.

Die Szene erinnert an die Situation vor einem Jahr, als im Abstiegskampf der 1. Bundesliga mit Gerald Asamoah ebenfalls ein Paulianer im Spiel gegen Hannover 96 darauf hinwies, dass ein Eckstoß zu Unrecht gegeben wurde. Die Schiedsrichter nahmen die Eckball-Entscheidung daraufhin zurück. Gerald Asamoah wurde anschließend mit dem „Fair Play Preis des Deutschen Sports“ gewürdigt. Der Unterschied zur jetzigen Begebenheit ist allerdings, dass die Schiedsrichter hier das Handspiel alleine erkannt hatten und der Beschuldigte es erst anschließend zugab.

Der Kölner Stadt-Anzeiger zitiert in der Spieltagsanalyse Helmut Schulte, den Sportdirektor von St. Pauli, mit den Worten: „Er hat für seine Ehrlichkeit den Friedensnobelpreis verdient.“ Lese ich da einen gewisen Zynismus heraus, dass Marius Ebbers es überhaupt für nötig befand, den „Betrugsversuch“ zuzugeben? Sollte die Aussage allerdings ernst gemeint sein, dann fehlt mir jedes Verständnis dafür. Ist die Moral im Profifußball wirklich so verkommen?

Im Achtelfinale der Fußball-WM 2010 waren vermutlich nur wenige Deutsche sauer, dass die Schiedsrichter das offensichtliche Tor zum Ausgleich für England nicht anerkannt haben. Manuel Neuer schnappte sich den Ball, als sei nicht geschehen. Hätte er etwa sagen sollen, dass er deutlich hinter der Linie war?

Es liegt hier aus meiner Sicht eine verkehrte Sichtweise des Fairplays vor. Im Teamsport Ultimate Frisbee (Ende der 1960er Jahren von US-Studenten erfunden) gibt es keinen externen Schiedsrichter. Das Regelwerk sieht vor, dass die Spieler genau wissen müssen, was vorgeschrieben ist, um so in strittigen Situationen bei eigener Beteiligung zu reklamieren, was aus ihrer Sicht gegen die Regeln verstieß. Für diesen Ansatz wurde der Deutsche Frisbeesport-Verband im vergangenen Jahr ebenfalls mit dem „Fair Play Preis des Deutschen Sports“ ausgezeichnet.

Der Ansatz oder die Spielkultur ist aber genau umgekehrt: Im Ultimate ist das Betrügen der Ausnahmefall und wird durch das Anfechten des beteiligten Gegenspielers („Contesten“) praktisch unwirksam. Wenn sich die beiden involvierten Spieler über einen Sachverhalt nicht einigen können, geht die Scheibe zurück zum vorigen Werfer. Die Spielkultur im Ultimate schreibt (im Paragraph 1 des Regelwerks) Integrität und Wahrheitsliebe vor!

Im Fußball gilt nach wie vor: Was der Schiri nicht sieht, hat nicht stattgefunden (es sei denn, eine Fernsehkamera hätte eine grobe Unsportlichkeit eingefangen und ein Fußballgericht spricht nach dem Spiel noch eine Strafe aus). Im Ultimate geht es aber nicht nur darum, sich vor dem Gegenspieler zu verantworten, sondern vor allem vor sich selbst. Auch im Ultimate gibt es unsportliche Verhaltensweisen, aber diese werden sich nicht durchsetzen, solange die Spieler in der Mehrheit die genannte Verantwortung erlernen und ernstnehmen.

Unabhängig davon ist Fußball auch ein toller Sport. Allerdings könnte im Stadion am Millerntor die Musik zum Auflaufen der Spieler unter diesem Aspekt eine noch tiefergehende Bedeutung als gedacht erhalten…

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#1

Vielen Dank an Basil, der mich auf diesen Beitrag von 11freunde.de hingewiesen hat: http://bit.ly/IGSlQ3. Dort werden insgesamt zehn Beispiele außergewöhnlich fairer Gesten im Fußball gezeigt, zum Teil mit Video. Leider sind viele der dort genannten Profis keine Wiederholungstäter…

Jörg geschrieben am 16. April 2012 - 16:50
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